Rückblick: KVV- / KLV-Revisionen – was bedeuten die neuen Regulierungen für die Pharmaindustrie?

Tuesday, January 14, 2025

Das shqa live Webinar am 9. Dezember 2024 bot nebst vielen wertvollen Informationen einen spannenden Austausch zwischen hochkarätigen Podiumsteilnehmenden.

Es sprachen

  • Remo Christen, Roche Pharma Schweiz AG

  • Martina Weiss, Helsana

  • Stephanie Burri, IQVIA

  • Ernst Niemack, vips


Im Zentrum der Webveranstaltung standen

  • Aufzeigen der praktischen Auswirkungen der KVV / KLV Revision auf die Pharmaindustrie

  • Erfahrungsaustausch und Erklärungsansätze zwischen Akteuren aus Pharma, Krankenversicherern und Marktforschung

  • Einblicke in die aktuellen gesundheitspolitischen Entwicklungen und deren möglicher Einfluss auf die Branche im Jahr 2025

 

Gleich zu Beginn standen zwei zentrale Fragen im Raum

  • Wieso hat man denn überhaupt etwas geändert?

  • Hat man das Ganze eventuell sogar «verschlimmbessert» … ?


 

Spannend das Setting, bei welchem die illustre Runde bei der Pfizer vor Ort empfangen und die Diskussion live als Webinar übertragen wurde.

Moderiert und geleitet hat das Podium Andreas Wildi, Attorney at law Partner, Walder Wyss Ltd.

Das Webinar richtete sich primär an Entscheidungsträger aller relevanten Funktionen der Pharmaindustrie, Market Access / Corporate / Public Affairs Team Leads & Manager, Mitarbeitende Pharmaindustrie, Versicherungsvertreter sowie Fachkräfte aus dem Gesundheitswesen.

Diskussion über Herausforderungen und Chancen der Revision

Stephanie Burri, Associate Director Supplier Services, IQVIA AG, lieferte einen Überblick mit Fakten und Daten zu den Marktentwicklungen und Umsatzveränderungen im Pharmamarkt 2024 nach der Revision. Sie zeigte in beeindruckender Art und Weise, dass die Verordnungsanpassung zwar zu einer Verschiebung hin zu Generika geführt hat, dies jedoch zu keinerlei Kosteneinsparungen beitrug.

Martina Weiss-Radtke, Head Negotiation / Reimbursement Pharmaceuticals, Helsana Versicherungen AG, sprach zu den Auswirkungen der Revision aus Sicht eines Krankenversicherers: Was hat sich geändert und was bleibt die Herausforderung?

Remo Christen, Head of Market Access & Health Care Affairs, Roche Pharma (Schweiz) AG, bot einen Erfahrungsbericht aus der Pharmaindustrie. Wie hat die Pharmaindustrie auf die Revision reagiert und welche Anpassungen mussten vorgenommen werden?

Ernst Niemack, Geschäftsführer Vereinigung Pharmafirmen in der Schweiz vips, präsentierte die Ergebnisse aus der Mitgliederbefragung zu den Auswirkungen der KVV / KLV Revision, bei der eine erfreuliche Anzahl von 75 Firmen partizipiert hatte.
 

Geballtes Expertenwissen und dynamischer Austausch

Im ersten Teil hat man intensiv über den Artikel 71 als Einzelfalllösung diskutiert.

In der Realität zeigt sich, dass man 85 % klassische Off Label Fälle hat und der SL-Überbrückungsteil bei tiefen 15 % liegt.

Der «Artikel 71» wurde vom Gesetzgeber als Ausnahmeartikel vorgesehen und für die Vergütung  in Einzelfällen gemacht. Der Einzelfall Mechanismus ist wichtig, er sollte für medizinisch begründete Einzelfälle da sein und nicht zur Überbrückung für strukturelle Probleme beim regulären Medikamentenzugang von seinem ursprünglichen Zweck entfremdet werden. Eine Umgehung der Spezialitätenliste über Artikel 71 KVV aufgrund dessen, dass die Standardprozesse überlastet sind, ist weder zielführend noch praxistauglich.

Remo Christen ist sich sicher: «Wir haben ein Zugangsproblem über die Spezialitätenliste – hier besteht dringender Handlungsbedarf! Die Hindernisse bei der SL-Listung müssen aus dem Weg geräumt werden!»

Mit der Revision sollte eine einheitliche Nutzenbewertung geschaffen werden, mit dem Zweck der Gleichbehandlung von Patientinnen und Patienten. Dieses Ziel wurde klar verfehlt. Der Zugang sei zwar vereinheitlicht worden, aber auf sehr viel tieferem Niveau, konstatiert vips Geschäftsführer Ernst Niemack.

Neu gelten Zwangsabschläge von 30 bis 50 Prozent des Auslandspreises. In vielen Fällen kann das Produkt damit gar nicht mehr zu wirtschaftlichen Bedingungen im Schweizer Markt gehalten werden. Die Folge – Innovationen stehen in der Schweiz nicht mehr zur Verfügung. Durch einen solchen Innovationsstau wird der Standort Schweiz massiv geschwächt.

Dies zeigen auch die Ergebnisse der Umfrage, welche die vips bei ihren Mitgliedern zu den Auswirkungen der KVV / KLV Revision gemacht hat. Ernst Niemack präsentierte exklusiv die Faktenlage basierend auf der Mitgliederumfrage seines Verbandes.

Eine beeindruckende und gleichermassen höchst alarmierende Zahl – über 200 Patientinnen und Patienten haben in den ersten 9 Monaten diesen Jahres keine optimale Therapie mehr erhalten im Vergleich zum Vorjahr. Für die Vereinigung Pharmafirmen in der Schweiz vips ist deshalb klar. Die Verordnung ist innovationsfeindlich und  schadet dem Pharmastandort Schweiz – ähnliche Risiken müssen im KDP 2 unbedingt vermieden werden!

 

(Artikel von Pascal Michel, der am 12. Dezember 2024, zum selben Thema in den Zeitungen von CH Media erschienen ist. Das Gespräch mit dem Journalisten hat unabhängig und nach dem Live Webinar stattgefunden.)

Martina Weiss brachte gegen Schluss des Podiums die Idee ins Spiel, die Nutzenkategorien zusammenlegen. Die illustre Runde könnte sich mit einem solchen Gedanken durchaus anfreunden.

Noch ein zusätzlicher Aspekt sorgte für Stirnrunzeln bei den Diskutanten -> 1 Verordnung für alle Fälle, da liegt schon die Ursache der Krux! Ein solches System ist viel zu starr, die wichtige Differenzierung unter den Fällen hat man verpasst. Die Starrheit des Systems führt zu grossen Problemen. Alles ist viel komplexer und aufwändiger geworden.

Martina Weiss’ Devise hier lautet klipp und klar «Weniger Politik, mehr Pragmatismus!»

Die Schlussrunde wurde mit der Frage eröffnet «Wie ist Euer Alltag mit dem Artikel 71 seit dem 1.1.24?»  und weiter «Wem nützt das überhaupt etwas?» «Haben wir effektiv etwas verbessert für den Patienten?»

Was Ernst Niemack zum glasklaren Votum bewegt: «In der Realität zeigt sich, dass der Zugang immer schlechter wird. Der Aktionismus lähmt und blockiert den Innovationszugang. Das System wird immer starrer!»

Und weiter...

«… open minded und lösungsorientiert, nur so geht’s, mit dem gemeinsamen Ziel der Sicherung des egalitären Zugangs vor Augen. Es ist wichtig, eine faktenbasierte Entscheidungsgrundlage zu haben. Das heisst, Daten messen und Entscheidungen faktenbasiert treffen. Dabei ist das A und O, die entsprechenden Parameter festzulegen. Die Fakten müssen auf dem Tisch liegen!»

Auch das Nutzenthema als Gegengewicht zum Kostenröhrenblick sorgte für eine spannende und engagierte Diskussion. Eines müssen wir uns bewusst sein: «Jeder Prämienzahlende wird irgendwann in seinem Leben zum Patienten!»  Mit diesem präganten Votum fand ein kurzweiliges, engagiertes und informatives Webinar seinen würdigen und treffenden Abschluss.

Liliane Scherer, Leiterin Kommunikation & Politik vips